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Häusliche Gewalt zu Corona-Zeiten – Hinter den vermeintlich sicheren vier Wänden

Vorwürfe, Schuldzuweisungen, Angstzustände und Gewalt in allen erdenklichen Formen: So würde Maya Malei (Name geändert) den Lockdown beschreiben. Die vier Wände, die ihr Sicherheit und Gesundheit versprachen, schützten sie zwar vor dem Virus, jedoch weniger vor weiteren Auswirkungen der Pandemie. Während andere die Lockdown-Zeit nutzten, um neue Interessen zu verfolgen und mehr Zeit mit ihren Liebsten zu verbringen, kämpfte Maya um ihre Existenz.

Maya Malei hat zwei Jahre voller Höhen und Tiefen hinter sich. Seit März 2020 hat sich ihr Leben komplett auf den Kopf gestellt. Sie erinnert sich noch gut an den Tag, an dem der erste Lockdown verhangen wurde: „Dieser Tag war einer der letzten guten mit ihm.“ Die 29-Jährige und ihr Freund sind zu diesem Zeitpunkt seit vier Jahren ein Paar und teilen nicht nur die Liebe füreinander, sondern auch ihre derzeitige Wohnung. Doch mit den ersten Einschränkungen zeigen sich auch die ersten Veränderungen in ihrer Beziehung. Vor dem Lockdown habe Maya zwar auch Auseinandersetzungen mit ihrem Freund gehabt, diese haben sich für sie jedoch kaum von den Problemen anderer Paare unterschieden. „Durch den Lockdown nahm sein Verhalten erst gewalttätige Züge an.“

Maya ist kein Einzelfall. Die Zahlen zeigen, dass die Delikte bei Gewalt in Partnerschaften das vierte Jahr in Folge gestiegen sind. Das Bundeskriminalamt erhebt seit 2015 jährlich kriminalstatistische Auswertungen zur Partnerschaftsgewalt in Deutschland. Im Jahr 2020, in welchem der erste Lockdown verhangen wurde, erfassten die Behörden bundesweit 148.031 Fälle häuslicher Gewalt. Im Vergleich zum Vorjahr ist ein Anstieg von 4,9 Prozent zu beobachten.

Maya ist eines der 148.031 Opfer. Im März 2020 änderte sich für sie nicht nur das Leben draußen, sondern auch innerhalb ihrer eigenen vier Wände. Wie viele andere überkam auch Mayas Freund die Angst und Ungewissheit wie es weitergeht. „Er war genauso verzweifelt wie alle anderen auch. Zunächst war es nur verbale Gewalt. Angefangen mit Schuldzuweisungen, später dann Drohungen, die letztendlich zu physischer Gewalt führten. Hinterher kamen immer Entschuldigungen. Wiederholen tat es sich trotz alledem immer und immer wieder“, erzählt sie.

Warum Verstärkt sich häusliche Gewalt?

Ein großer Teil des Soziallebens findet außerhalb der eigenen vier Wände statt. Durch die Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen leiden deshalb insbesondere die sozialen Bereiche des alltäglichen Lebens. Maya bezeichnet sich selbst als einen sehr sozialen Menschen, der vor der Pandemie großen Gefallen an Freizeitaktivitäten und Zeit mit Freunden gefunden habe. „Mein liebster Part des Tages war es trotzdem immer abends zu ihm nach Hause zu kommen“, sagt Maya.

Was sie einst als ihr Zuhause sah, wurde ihr vom einen auf den anderen Tag genommen. Monatelang habe sie an der Hoffnung festgehalten, dass die Pandemie enden und er wieder zu seinen alten Verhaltensmustern zurückkehren würde. „Ob sein Verhalten sich ändert oder sich bis dahin zu festgefahren haben wird, kann ich leider nicht sagen. Ich erhoffe mir jedoch, dass die Trigger-Faktoren, die diese Charakterzüge in ihm hervorgebracht haben, sich gemeinsam mit diesen auflösen, sobald wir diese Pandemie überstanden haben“, erklärt sie.

Dr. Jana Hertwig, Volljuristin, Lehrbeauftragte für Frauenrechte und Vorsitzende des Zentralen Frauenrats, beschäftigt sich seit vielen Jahren mit den Rechten und Schutzmöglichkeiten von Frauen und Kindern. Mayas Hoffnung, dass die gewalttätigen Züge ihres Freundes sich nach der Pandemie zurückbilden könnten, sieht Hertwig eher kritisch: „Aus meiner persönlichen Sicht wird es keine Zeit nach der Pandemie geben und die Belastungen in den Familien und Partnerschaften werden bestehen bleiben.“ Sie halte es für wahrscheinlich, dass auch wenn die Pandemie enden sollte, keine rückläufigen Zahlen zu beobachten sein würden. Die psychischen Belastungen der Pandemie seien zu groß und die Gesellschaft werde daher auch nach Ende der Corona-Krise noch langfristig damit beschäftigt sein, diese Auswirkungen aufzuarbeiten.

Hannah Kalwitz ist Mitarbeiterin im Frauenhaus Rhein-Erft-Kreis. Zu ihren Aufgaben in der Institution gehören die Beratung, Aufnahme und Begleitung der Frauen. Sie berichtet über ihre Observationen der Frauen im Frauenhaus: „Einige Frauen berichten uns, dass sich die Situation zuhause durch die Pandemie verschlimmert hat. Durch das Homeoffice, möglicherweise Arbeitsplatzverlust und Homeschooling ist die ganze Familie häufig auf sehr engem Raum, was eine möglicherweise ohnehin schon angespannte Situation noch verschärft.“

Ein Forscher*innenteam der Technischen Universität München und dem RWI-Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung veröffentlichte im Juni 2020 die erste repräsentative Studie zu häuslicher Gewalt während der Corona-Pandemie in Deutschland. Hierzu befragten Prof. Dr. Steinert, die Leiterin der Forschungsumfrage, und ihr Forschungsteam rund 3.800 Frauen zwischen 18 bis 65 Jahren anonym online, ob sie durch die pandemiebedingten Ausgangsbeschränkungen Erfahrungen mit häuslicher Gewalt gemacht haben. Befragt wurden die Frauen zwischen dem 22. April und dem 8. Mai 2020. Zu diesem Zeitpunkt galten die strengsten Kontaktbeschränkungen und in einigen Bundesländern wurde eine Ausgangssperre verhangen.

Aus der Umfrage geht hervor, dass ganze 3,1 Prozent der Probant*innen körperliche und 3,8 Prozent emotionale Gewalt erfahren haben. Die Zahl für Opfer sexueller Gewalt hingegen liegt bei 3,6 Prozent, wobei hier von einer großen Dunkelziffer auszugehen ist. Höher wäre die Zahl der Opfer ausgefallen, wenn diese akute finanzielle Sorgen hatten, einer der Partner pandemiebedingt den Arbeitsplatz verloren hatte oder in Kurzarbeit war, der Partner unter Angst oder auch Depressionen litt. Die Zahl der Opfer, die sich in Heimquarantäne befanden, ist den Studienergebnissen zufolge doppelt so groß wie die Zahl derer, die sich nicht in häuslicher Quarantäne befanden.

Frauenhäuser an ihren Grenzen

Frauenhäuser an ihren Grenzen

Während die Zahlen nun zum vierten Jahr in Folge steigen, bleibt die Anzahl der Hilfsinstitutionen mangelhaft. Ressourcen fehlen, Plätze sind überbelegt und Wartelisten überfüllt. Schutzunterkünfte sind überlastet und Mitarbeiterinnen verzweifelt. Dort wo viele Frauen Zuflucht und Schutz suchen, ist wenig bis gar kein Platz. Tausende von Frauen werden abgewiesen und die Hoffnung auf Sicherheit genommen. Doch nicht nur die Frauenhäuser, sondern auch der Wohnungsmarkt ist zu Zeiten der Pandemie überlastet und erschwert es den Opfern, aus ihren derzeitigen Wohnverhältnissen zu entfliehen.

Frauenhaus-Mitarbeiterin Kalwitz berichtet, dass sie im ersten Jahr des Lockdowns ganze 64 Frauen wegen Überbelegung abweisen musste. „Da wir eine Aufnahmestelle für akute Notfälle sind, haben wir leider auch keine Warteliste, sodass wir nichts anderes tun können, als die Frauen abzuweisen“, erklärt sie.

Maya habe ihre Beziehungsprobleme privat halten und deswegen nie Hilfe in Anspruch nehmen wollen. „Die meiste Zeit wollte ich es auch einfach nicht wahrhaben und hab mir eingeredet, dass er es nicht so meint und wir das allein schaffen“, erklärt sie.

Katrin Weber (Name geändert) hingegen entschied sich diesen für sie wichtigen Schritt zu gehen. Gemeinsam mit ihrer Freundin suchte sie ein Frauenhaus auf. „Ich habe versucht, mir mein eigenes Hilfesystem aufzubauen und bin gescheitert. Letztendlich habe ich mich dann doch dazu bewegen können, nach Hilfe von außen zu fragen“, sagt die 32-Jährige. Nach acht Jahren Ehe bemerkte sie erstmals in der Pandemie gewalttätige Charakterzüge an ihrem Mann. „In der Pandemie hat sich dies sehr verstärkt und auch dann habe ich erst gemerkt, in was für einer Situation ich mich eigentlich befinde“, erzählt sie.

Während Maya an ihrer Beziehung festhielt, gab es für Katrin einen entscheidenden Faktor, der sie dazu verleitete, den Schlussstrich zu ziehen und nach Hilfe zu fragen: Sie war schwanger. Obwohl ihr Mann zwar aufgrund dessen aufhörte, ihr physische Gewalt zuzufügen, wurde ihre Schwangerschaft dennoch von psychischer Gewalt begleitet.

Volljuristin Hertwig fordert genau aus diesem Grund eine Frist von drei Monaten, um die betroffenen Frauen und Kinder so schnell wie möglich in Sicherheit zu bringen: „Die Zuweisung in Ersatzschutzräume darf nicht in einen Dauerzustand münden, weil sich die Situation daheim mit jedem verstrichenen Tag weiter verschärfen wird.“ Sie sieht die unzureichenden Plätze in Frauenhäusern sehr problematisch. Ihre Prognose lautet, dass sich die pandemiebedingten negativen Folgen für Familien und Partnerschaft weiterhin verschärfen werden. Die aktuell unzureichenden Plätze in Schutzräumen würden sich außerdem noch zu einem viel größeren Problem entwickeln.

Eine bundesweite Recherche von Correctiv.Lokal und Buzz Feed bestätigt den Mangel an Frauenhäusern und veranschaulicht das brüchige System. Gemeinsam recherchierten sie zum Thema „Häusliche Gewalt“, mit Fokus auf der Belastung der Frauenhäuser in Zeiten der Corona-Pandemie. Als Teil ihrer Recherche befragten sie 92 Frauenhäuser aus insgesamt 14 Bundesländern zu ihrem Berufsalltag, alltäglichen Herausforderungen und den Entwicklungen des vergangenen Jahres. Hierbei gaben einzelne Mitarbeiterinnen der Frauenhäuser an, dass sie im ersten Lockdown 2020 kaum neue Frauen aufnehmen und teilweise Hunderte abweisen mussten.

Erzwungene Nähe, zwanghafte Kontrolle und mangelnde Aufklärung

Pandemiebedingt fällt es vielen Opfern schwerer, Hilfsangebote zu nutzen und der häuslichen Situation zu entfliehen. Während zu wenig Aufklärung über mögliche Hilfsangebote betrieben wird, sind andere besonders in der aktuellen Situation kaum nutzbar.

Auch Katrin durfte diese Erschwerung schnell bemerken: „Dadurch, dass sich alle im Homeoffice befinden, inklusive meinem Mann, war der Versuch, ein Hilfsangebot zu nutzen, eine reinste Katastrophe.“ Katrin versuchte mehrfach Beratungsstellen zu kontaktieren. Während sie zwar fest entschlossen war einen Ausweg zu finden, bestätigten sich ihre Befürchtungen: „Hilfe zu suchen bzw. zu finden hat sich pandemiebedingt äußerst erschwert. Das liegt insbesondere daran, dass man von zu Hause aus kontrolliert wird und es natürlich auffällt, wenn man während des Lockdowns das Haus verlässt.“

Hertwig sorge sich besonders um einen weiteren Aspekt: „Häufig ist es den Opfern pandemiebedingt nicht möglich, sich an hilfestellende Institutionen zu wenden. Die Zahlen sind deshalb aus meiner Sicht nicht repräsentativ. Die Dunkelziffer wird sehr groß sein.“

Frauenhaus-Mitarbeiterin Kalwitz berichtet, dass es für viele Frauen seit Beginn der Pandemie und insbesondere in den Phasen des Lockdowns schwieriger gefallen sei, Kontakt zum Hilfesystem aufzunehmen. Einige Frauen haben ihr berichtet, dass ihre Institution das einzige Hilfsangebot sei, über welches sie im Bilde waren. Während es den meisten Opfern ohnehin schon schwerfällt nach Hilfe zu fragen, ist den meisten gar nicht bewusst, welche Art von Hilfsangeboten ihnen zur Verfügung stehen und wie sie diese erreichen.

Das Hilfetelefon ist ein bundesweites Beratungsangebot für Opfer häuslicher Gewalt. 365 Tage im Jahr können Opfer dieses Angebot nutzen und die Beratung von ausgebildeten Fachkräften nutzen. Im Jahr 2020 nahmen knapp 80.400 Personen Kontakt zum Hilfetelefon auf. Davon ließen sich jedoch lediglich 51.400 Personen beraten. Während das Beratungsaufkommen verglichen mit dem Vorjahr zwar um knapp 15 Prozent zunahm, liegen die Zahlen gewiss zu tief.

Auch Prof. Dr. Steinerts Studie zeigte, dass nur 48,2 Prozent der Probant*innen über das Hilfsangebot der Telefonseelsorge aufgeklärt waren. Von diesen 48,2 Prozent nutzen lediglich 3,9 Prozent der Opfer dieses Angebot.

 

Ein Appell an die Politik

Doch nicht nur die Aufklärung hinsichtlich der möglichen Hilfsangebote ist ein großes Problem. „Es sollte viel umfangreicher aufgeklärt werden. Die Persona von gewalttätigen Männern wird viel zu sehr nach dem Klischee ‚Schlägertyp‘ gestaltet, wodurch viele Frauen in Verleugnung leben. Die Männer haben auch gute Zeiten und entsprechen nicht immer diesem Klischee“, merkt Katrin an. Gerade deshalb müsse in Zukunft deutlicher und offensiver aufgeklärt werden.

Trotz Hindernissen und Herausforderungen gelang es Katrin ihren Mann nach neun Jahren Ehe zu verlassen. Heute lebt sie allein mit ihrem sechsmonatigen Sohn und blickt reflektierend zurück „Ich bereue es nicht, ihn verlassen zu haben, weil ich meinem Sohn sonst nie das hätte bieten können, was er jetzt hat: Sicherheit.“

Währenddessen fiel es Maya deutlich schwerer, die Realität zu akzeptieren, da sie lange in Verleugnung lebte. Doch auch sie entschied sich im November 2021 dazu, ihren Partner zu verlassen. Dennoch hält sie noch immer an der Hoffnung fest, dass er sich eines Tages ändern und sie wieder zueinanderfinden werden.

Katrin und Maya haben also einen Ausweg und Schutz vor weiteren Auswirkungen der häuslichen Gewalt finden können. Nach Angaben des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend wird jedoch jede dritte Frau mindestens einmal in ihrem Leben Opfer von Gewalt. Viele dieser Opfer sind sich ihrer Lage nicht bewusst, erkennen Warnsignale zu spät oder finden keinen Ausweg.

Aus diesem Grund und aufgrund der steigenden Zahlen sind sich Hertwig und Steinert darüber einig, dass Politik und Staat endlich proaktiv handeln müssen. Hertwig fordert einen gesetzlich verankerten bundesweiten Anspruch auf einen Platz im Frauenhaus. Auch Steinert appelliert in einem Interview mit der Ärztezeitung: „Frauenhäuser und andere Stellen, die Hilfen anbieten, müssen systemrelevant bleiben!“

Autorin: Destina

Hilfsangebote

Folgende Online-Hilfsangebote können Betroffene auch zu Zeiten der Ausgangsbeschränkungen unkompliziert und anonym wahrnehmen:

  • Beim Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ können Sie sich unter der Rufnummer 08000 116 016 rund um die Uhr anonym und kostenlos beraten lassen
  • Hilfetelefon Sexueller Missbrauch: kostenlose und anonyme Beratung unter 0800 – 22 55 300, Online-Beratung unter www.save-me-online.de
  • Frauenberatungsstellen und Frauenhäuser in ihrer Nähe können Sie über die Frauenhauskoordinierung finden (www.frauenhauskoordinierung.de)
  • Der Weisse Ring ist über das Opfertelefon unter der 116 006 oder über die Website (www.weisser-ring-de) erreichbar

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