Thromboserisiko, Depressionen, Magenbeschwerden
Warum die Pille noch immer einer der beliebtesten Verhütungsmittel ist
Spricht man das Thema Verhütung an, denken die meisten Personen sofort an die Pille. Und das hat auch seinen Grund: Die Studie „Verhütungsverhalten erwachsener 2018“ der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung machte deutlich, dass die Pille das am häufigsten verwendeten Verhütungsmittel in Deutschland ist. Rund 47 Prozent der Erwachsenen sexuell aktiven Personen gaben an, mit der Pille zu verhüten. Mit einem Kondom verhüteten mit 46 Prozent beinahe genauso viele, was auf eine Doppelnutzung schließen lässt. Mithilfe der Spirale verhüteten lediglich 10 Prozent. Deutlich wird in dieser Statistik zudem, dass die Sicherheit des Verhütungsmittels für die Deutschen am wichtigsten ist: Rund 42 Prozent gaben an, dass sie oder ihr Partner bei der Wahl des Verhütungsmittels auf die Sicherheit bzw. Zuverlässigkeit achten. Ein Drittel der Befragten entschied sich für ihr Verhütungsmittel, weil es praktisch und bequem anzuwenden ist.
Zu den wohl bekanntesten und häufigsten Nebenwirkungen der Pille zählen laut einer Umfrage der Online-Arztpraxis ZAVA, Zwischen- und Schmierblutungen, Migräne, Gewichtszunahme und Stimmungsschwankungen. Doch damit ist längst nicht Schluss. Der Beipackzettel der Pille ist lang. Neben den üblichen Symptomen können auch schwere Langzeitfolgen auftreten. So können Thrombosen und Embolien Nebenwirkungen der Antibaby-Pille sein. Das Risiko, an Krebs zu erkranken, kann steigen und schwere depressive Verstimmungen können auftreten.
Mit diesen Nebenwirkungen hatte auch die 19-jährige Alina zu kämpfen. Sie berichtet über schwere Migräneschübe und depressive Verstimmungen bis hin zu Selbstmordgedanken. Nachdem sie das Präparat gewechselt hatte, kamen noch schwere Magenprobleme hinzu: „An einem Abend war es so schlimm, dass ich mich vier Stunden lang übergeben musste und so starke Magenkrämpfe hatte, dass ich sogar in die Ambulanz musste.“ Nachdem sie das Präparat über drei Wochen hinweg genommen hatte, nahmen die Nebenwirkungen jedoch ab, sodass sie die Einnahme bis heute fortgeführt hat.
Immer weniger Frauen nehmen die Pille
Nur noch jede zweite 18-jährige Frau lässt sich die Pille verschreiben. Das beobachtet die Techniker Krankenkasse. Im Jahr 2015 waren es noch 65 Prozent. Die genauen Gründe für den Rückgang sind noch unklar. Klar ist jedoch, dass die Aufmerksamkeit – gerade durch Social Media Plattformen – für das Thema größer geworden ist als noch vor ein paar Jahren. Der Rückgang hänge womöglich auch mit der Berichterstattung zu Pillen der sogenannten neueren Generation zusammen, die insgesamt ein höheres Thromboserisiko aufweisen.
Bei der 19-jährigen Angelina Haller waren die Nebenwirkungen der Hauptgrund, warum sie die Pille abgesetzt hat. Sie erklärt, dass sie besonders durch Plattformen wie „Einhorn“ und „The Female Company“ auf das Thema aufmerksam wurde. Die beiden Agenturen beschäftigen sich mit der Enttabuisierung von alltäglichen Problemen einer Frau. Sie klären auf, sprechen über Verhütungsmethoden sowie die Periode und wollen Frauen dabei unterstützen, offener über ihre Bedürfnisse zu sprechen. Außerdem verkaufen beide Start-ups nachhaltige Produkte. So verkauft Einhorn naturfreundliche Kondome in supersüßer Verpackung und The Female Company Periodenpanties, Baumwoll-Tampons und vieles mehr. Ihre Beiträge zu alternativen Verhütungsmethoden brachte Angelina zum Nachdenken. Bereits im Alter von 13 Jahren wurde Angelina von ihrem Arzt die Pille verschrieben, da sie unter schweren Regelschmerzen litt. Sechs Jahre lang nahm sie die Pille ein und probierte unterschiedlichste Präparate aus, da auch bei ihr immer wieder schwere Nebenwirkungen auftraten. Als Angelina alternative Verhütungsmethoden wie die Kupfer-Spirale ansprach, wurde diese Idee schnell wieder von ihrer damaligen Gynäkologin verworfen und ein weiteres Pillen-Präparat, welches sie testen sollte, verschrieben. Erst nachdem sie ihre Frauenärztin wechselte, wurde ihr die Hormonspirale eingesetzt.
Laut einer Studie der Online-Arztpraxis ZAVA berichten rund 22 Prozent der Frauen über schlechte oder falsche Beratung der Ärzte. Die befragten Personen erklärten, dass die Ärzte lediglich darauf hinwiesen, dass es sich bei den Symptomen um typische Beschwerden handle, ohne jedoch weiter darauf einzugehen. Weitere 10 Prozent der befragten Patientinnen berichteten darüber, dass ihre Ärzte einen Zusammenhang der Symptome mit der Pille sogar gänzlich ausschlossen – und dass, obwohl die Symptome Indikatoren für eine Unverträglichkeit der Wirkstoffgruppe sein könnten.
Dr. med. Wilhelm Diers, Facharzt für Frauenheilkunde, steht dem großen Trubel um die Pille eher skeptisch gegenüber. Laut ihm ist es einerseits gut, dass junge Frauen nun kritischer hinterfragen, bevor sie ein Medikament über einen langen Zeitraum einnehmen. Andererseits erklärt er, dass oft auch viele falsche Aussagen verbreitet werden. Das führt dazu, dass den Patientinnen oft Angst gemacht wird, obwohl diese nicht notwendig ist. Er erklärt, dass die Pille für viele Frauen auch eine Erlösung sein kann: „Viele Patientinnen kommen zu mir und klagen über schwere Regelschmerzen, da kommt eine Spirale als Verhütungsmethode schon gar nicht infrage.“ Die Antibaby-Pille wird von manchen Frauen sehr gut vertragen und oftmals wünschen sie sich auch die Einnahme, um schweren Regelschmerzen entgegenzuwirken, um ein klareres Hautbild oder um eine „weiblichere Figur“ zu bekommen. Besonders die Schmerzen während der Periode sind jedoch ein wichtiger Verschreibungsgrund. Dr. Diers erklärt zudem, dass die Pille niemals verschrieben werden darf, ohne dass zuvor wichtige Untersuchungen vorgenommen werden. Bei der Verschreibung der Pille müssen viele Fragen geklärt sein. Dabei spielt das Gewicht eine große Rolle, ob die Patientin raucht und auch die familiären Umstände müssen zuvor kommuniziert werden. Hierbei sollen Vorerkrankungen wie zum Beispiel erhöhte Thromboserisiken, Herzrhythmusstörungen oder andere vererbbare Krankheitsbilder ausgeschlossen werden. Erst wenn hier keine Risiken zu erkennen sind, verschreibt Dr. Diers die Pille.
Auch Veronika Kaas*, Physiotherapeutin und Heilpraktikerin für Frauenheilkunde, sieht einen deutlichen Rückgang bei der Einnahme der Pille. Sie erklärt, dass es die jüngere Generation sei, die kritischer hinterfragt. Ältere Patientinnen nehmen die Pille teilweise schon seit 20 Jahren und wissen gar nicht, wie der Körper ohne künstlich hinzugefügte Sexualhormone funktioniere. Zudem weist sie darauf hin, dass die Pille früher verschrieben wurde, ohne weiter über dieses Thema zu sprechen. Ihrer Meinung nach hat der Feminismus viel zu dem Wandel beigetragen. Dem Thema wird nun mehr Aufmerksamkeit geschenkt, da Sex, Verhütung und die Rolle der Frau in der Gesellschaft zunehmend enttabuisiert werden.
Warum die Pille also noch auf dem Markt lassen?
Der Wunsch auf eine hormonfreie Verhütungsmethode umzusteigen, ist auch bei Alina vorhanden. Jedoch sind ihr die Alternativen wie z. B. die Kupferspirale zu teuer. Bei der Kupferkette ist inklusive Beratung, Untersuchung und Einlegen mit 300 bis 350 € zu rechnen und beim Kupferperlenball mit 350 – 500 €. Der Preis bei einer Spirale liegt einschließlich der Einlage in einer gynäkologischen Praxis bei ca. 250 bis 400 € für einen Anwendungszeitraum von fünf Jahren. Zudem werden die Kosten dieser Varianten nicht von den Krankenkassen finanziert. Bei der Pille hingegen werden die Kosten bis zum 22. Lebensjahr übernommen. Als angehende Zahnarzthelferin mit niedrigerem Einkommen, kommt für Alina also erst mal keine alternative Verhütung infrage.
Eine weitere Hürde – nicht jeder darf oder kann alternative Verhütungsmethoden anwenden. Veronika Kaas erklärt, dass eine Frau mit starken Regelblutungen und -beschwerden sich nicht die Kupferspirale einsetzen lassen darf, da sie die Menstruation verstärkt und oftmals für intensivere Regelbeschwerden sorgt. Auch die Kupferkette sollte nicht in jede Gebärmutter eingesetzt werden. Ist die Gebärmutterwand zu dünn, so kann die Kette nicht an dieser befestigt werden, da sonst andere Organe verletzt werden könnten. Auch die Temperaturmethode, eine Methode der natürlichen Empfängnisverhütung, bei der man durch Messung der zyklischen Schwankungen der Basaltemperatur den Zeitpunkt des Eisprungs einer Frau ermittelt, ist nicht für jede Frau geeignet. „Die Temperatur muss jeden Tag zur gleichen Zeit gemessen werden, damit diese Methode funktioniert. Für Frauen, die also zum Beispiel oft feiern gehen, fällt diese Art der Verhütung weg, weil sie nicht mit dem Lifestyle zusammenpasst“, erklärt Veronika Kaas. Zudem bleibt die Pille das sicherste und einfachste Verhütungsmittel, weshalb sie für den Verhütungsmarkt von großer Wichtigkeit ist. Dennoch vertritt die Heilpraktikerin die Meinung, dass die Pille ausschließlich zur Verhütung und zur Bekämpfung akuter Beschwerden verschrieben werden sollte, nicht aber aus „Schönheitsgründen“.
Der Arzneimittelexperte und studierter Pharmakologe und Pharmakritiker Prof. Dr. Gerd Glaeske erklärt in einem Interview für das Filmprojekt „Pille Palle“, dass es mittlerweile viel zu viele verschiedene Präparate gebe, die jedoch gar nicht notwendig wären. Er meint auch, dass die ersten Präparate bereits genügen und dass die neueren Pillen, die auf den Markt kommen, meist mit einem höheren Risiko einzuschätzen sind als das der älteren. „Wenn 10.000 Frauen die Pille ein Jahr lang nehmen, dann kommen bei den älteren Pillen 7 Thrombosen und bei den neueren bis zu 14 vor“, so Dr. Galeske.
Wird die Pille zu leichtfertig verschrieben?
Spricht man mit jungen Frauen über die Verhütung, so wird schnell klar: Die Pille ist meist die erste Methode, die verschrieben wird. Oft wird diese aber nicht zum Verhüten, sondern als Mittel gegen Akne oder starken bzw. unregelmäßigen Blutungen verschrieben. In den meisten Fällen wird mit der Einnahme der Pille jedoch fortgefahren. Auch Angelika kennt dieses Verhalten. Sie begann mit der Einnahme aufgrund unregelmäßiger Menstruation, nicht aber um zu verhüten. Viele Frauen beginnen schon im Teenager-Alter mit der Einnahme und entwickeln eine Routine. Einige Beschwerden werden von den Betroffenen nicht mit der Pille in Verbindung gebracht und andere werden bewusst akzeptiert. So kommt es, dass viele betroffene Frauen unnötig lange unter Nebenwirkungen leiden.
„Es reicht nicht aus, auf den Beipackzettel zu verweisen!“, ermahnt Dr. Galeske in seinem Interview für das Filmprojekt „Pille Palle“ von Kathrin Ahäuser und weist auf mangelnde Aufklärung von Mediziner*innen hin. Außerdem erklärt Dr. Galseke, dass die meisten Studien zu den verschiedenen Präparaten, die auf dem Deutschen Mark erhältlich sind, aus dem Ausland kommen und in Deutschland nicht mehr auf Richtigkeit geprüft werden Aus diesem Grund sollte die Einnahme der Pillen der dritten und vierten Generation, laut ihm, sogar gänzlich vermieden werden. Zudem erklärt er, dass die Risiken der Pille anders zu bewerten seien als bei sonstigen Medikamenten, da sie hauptsächlich von gesunden Frauen eingenommen werden, die nicht zwangsläufig auf das Produkt angewiesen sind.
Veronika Kaas der Meinung, dass die Pille oft zu leichtfertig verschrieben wird, weist jedoch darauf hin, dass Ärzte es mittlerweile schwerer haben die Pille zu verschreiben.
Immer häufiger nutzen die Patientinnen die sozialen Medien und das Internet, um sich über die Pille und deren Nebenwirkungen zu informieren. So kommt es, dass viele Frauen die Pille mittlerweile gar nicht mehr nehmen wollen. Auch Dr. Diers kann dieses Verhalten in seiner Praxis erkennen. Auf die Frage hin, ob die Pille seines Erachtens zu leichtfertig verschrieben wird, antwortet er jedoch eher zögerlich. So erklärt er, dass dieses Thema sehr sensibel behandelt werden muss und es wichtig ist, vorher viel darüber zu sprechen und auf Alternativen hinzuweisen. Dr. Diers und Veronika Kaas sind sich unabhängig voneinander jedoch in einem Punkt einig: Die Pille ist die sicherste Verhütungsmethode und ist dafür auch allgemein bekannt. Oft beginnen die Patientinnen mit der Einnahme, da sie die Pille von ihren älteren Freundinnen, Müttern oder auch Geschwistern kennen. Es ist eine bewährte Art zu verhüten, weshalb oft darauf zurückgegriffen wird.
Die Frauenheilkundin appelliert somit an die Patientinnen, sich gut zu informieren und auch nach dem Gespräch mit dem Arzt gut zu reflektieren, worauf sie sich bei der Einnahme einlassen. Ihrer Erfahrung nach kann die Antibabypille auch Vorteile mit sich bringen und muss nicht unbedingt Nebenwirkungen haben. „Wichtig ist darauf zu achten, wie sich der Körper nach der Einnahme verändert, um Nebenwirkungen frühzeitig feststellen und behandeln zu können“, so Veronika Kaas.
*Dieser Name wurde anonymisiert
Autorin: Johanna